Mit Urbaner Produktion krisenresilient

Gespräch mit Prof. Dr. Martina Fromhold-Eisebith von der RWTH Aachen. Was ist Urbane Produktion und und was bedeutet dies für die Entwicklung von Quartieren.

Liebe Frau Prof. Dr. Martina Fromhold-Eisebith, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Steigen wir doch gleich ein. Was genau können wir unter Urbaner Produktion verstehen? Erklären Sie uns doch bitte den Begriff.

Das ist nicht so einfach. Es gibt verschiedene Begriffsdefinitionen. Ich versuche zunächst mal den gemeinsamen Nenner zu beschreiben: Mit urbaner Produktion sind Gewerbeaktivitäten an Standorten im Stadtraum gemeint. Also in Innenstädten oder eben in Verdichtungsräumen. Das heißt, das städtische Umfeld und gewisse Merkmale sind dabei wichtig. Jetzt können wir ein bisschen überlegen, was könnte es für Varianten geben. Kolleginnen und Kollegen haben zu Teilen eine sehr enge Definition – sie sagen, nur reine Warenproduktion bezeichnen wir als urbane Produktion. Nur das Verarbeitende Gewerbe ist urbane Produktion. Ich vertrete eine breitere Auffassung. Das heißt, ich beziehe auch die Dienstleister mit ein, die unmittelbar wichtig sind für die Produktion.

Seit wann wird der Begriff diskutiert?

Seit einem guten Jahrzehnt ist der Begriff in der Welt. Er kommt interessanterweise nicht aus dem Bereich der Stadtplanung, sondern aus dem Ingenieurwesen. Ingenieure hatten erkannt, dass sie die Standortbedingungen mitberücksichtigen müssen. Und in diesem Zusammenhang gibt es eben auch das Urbane und dort gelten besondere Herausforderungen für die Produktion.

Welches Gewerbe wird unter urbaner Produktion verstanden? Welche Indikatoren beschreiben urbane Produktion?

Alle Bereiche der Warenproduktion im Verarbeitenden Gewerbe werden in die urbane Produktion einbezogen. Das kann sehr breit gefächert sein. Das kann zum Beispiel eine großindustrielle Produktion sein. Etwa ein großes Produktionswerk, um das die Stadt herum gewachsen ist. So, dass diese Aktivität zur urbanen Produktion geworden ist. Es gehören aber auch noch kleinteilige Aktivitäten wie Handwerk, Manufakturen dazu. Es gibt auch hier Kolleginnen und Kollegen, die rechnen die urbane Landwirtschaft zur urbanen Produktion dazu. Aber die würde ich nicht unbedingt mit einbeziehen. Für mich zählen noch die produktionsorientierten Dienstleister dazu: Ingenieurbüros, Beratungsfirmen, Werbeagenturen, Design, Forschung und Entwicklung.

Was sind denn typische Beispiele dafür?

Eine Fahrradmanufaktur. Oder ein Craftbeer-Hersteller, der die örtliche Gastronomie mit Bier beliefert, oder auch jemand, der Designkleidung herstellt, Designmöbel oder auch regionale Nahrungsmittel produziert. Das sind typische Bereiche, die auf eine städtische Kundschaft ausgerichtet sind: eine sehr individuelle, weniger standardisierte Warenherstellung.

Inwiefern kann urbane Produktion lebendige Quartier begünstigen?

Da fallen mir viele Vorteile ein. Der eine wäre, dass durch urbane Produktion eine bessere funktionale Mischung im Quartier erreicht wird. Wir können dadurch eine gesteigerte Attraktivität für jüngere Erwerbstätige erreichen. Es gibt noch einen Punkt, der in die aktuelle Zeit passt. Wenn wir vor Ort produzieren, können wir die Eigenversorgung unterstützen. Und damit eine Art Unabhängigkeit von externen Produzenten erreichen. Und so sind wir wiederum beim Thema Krisenresilienz. Man kann so flexibler auf Importprobleme reagieren.

Ich möchte noch zwei Punkte betonen. Gerade Young Professionals möchten ein attraktives städtisches Umfeld haben und sind froh, wenn sie Jobmöglichkeiten in der urbanen Produktion finden in der Nähe ihres Wohnorts. Da wird das gerne kombiniert. In der Stadt gibt es Orte, wo sich solche Aktivitäten sammeln, zum Beispiel in Co-Working Spaces oder Creative Labs. Das sind Möglichkeiten, um junge, kreative Gewerbe in einem attraktiven Gebäude zusammenzufassen. Das funktioniert eigentlich nur als urbane Produktion im städtischen Umfeld. Damit erhalten wir auch alles, was an versorgenden Funktionen dazugehört – das Einkaufen, die Gastronomie, Bildung oder auch die ärztliche Versorgung. Ich denke, die funktionale Durchmischung ist ein ganz großer Vorteil.

Es gibt noch andere Vorteile. Wenn Waren für eine städtische, oft auch kaufkräftige Bevölkerung hergestellt werden, werden Multiplikatoreneffekte angestoßen. Denn sie schaffen Einkommen in anderen städtischen Bereichen. Das sind die positiven Kreisläufe, die ein ganzes Quartier zur Prosperität führt.

Letzter Punkt ist, durch urbane Produktion steigern wir vor Ort die Chancen für eine kreative Neukombination von Kompetenzen. Wir sind auf Beispiele gestoßen, wo eine Hybridisierung stattfindet. Zum Beispiel das Handwerker immer häufiger IT-Design mit anbieten. Und dass schafft natürlich neue Geschäftsoptionen.

Inwiefern kann urbane Produktion Quartiere beeinträchtigen?

Wenn Sie eine standardisierte Massenproduktion als urbane Produktion haben, dann erzeugt dies Lärm und Emissionen nicht nur aus der Produktion, sondern auch aus dem Verkehr, der damit einhergeht. Aber auch Abfall oder Abwasser. Oft geht damit die Minderung der Wohnqualität einher. Auch können die lokalen Kosten steigen und damit Verdrängungsprobleme auftreten. Diese Probleme sind aber eigentlich nur mir großflächiger urbaner Produktion verbunden. Nicht mit den kleinen, feinen, kreativen Unternehmen.

Ist die urbane Produktion bei Stadtmachern bereits angekommen?

In der akademischen Debatte hat sich bereits einiges entwickelt. Ich kenne eine Reihe an Kolleginnen und Kollegen, die daran arbeiten. In der Planung fängt es gerade erst an ein bisschen bemerkt zu werden. Wir müssen auch ehrlich sagen, es gibt auch Herausforderungen, wie das in die Planung eingebunden werden kann. Planer sind zurzeit eher mit der Aufgabe befasst, Wohnraum zu schaffen. Denn wir haben eben diese große Wohnungsnot und haben auch die entsprechenden Bedarfe. Hinzukommen die Nutzungskonflikte und die Konkurrenten. Denn städtische Flächen sind knapp. Und natürlich müssen wir überlegen, was wir auf den knappen Ressourcen bauen wollen. Entweder Wohnbebauung, die politisch gewollt ist, oder Gewerbe. Ich finde, man könnte beides ganz gut verknüpfen. Man sollte das vielmehr synergetisch sehen. Und das wünsche ich mir auch.

Sie sprachen von Synergien. In der Planung ist häufig von der Erdgeschosszone die Rede. Welche Synergien gibt es noch Wohnraum und urbane Produktion zu verbinden?

Da nehmen wir eher die kleinteilige urbane Produktion in den Blick. Die ist hochwertig, nachhaltig, weniger emittierend und nicht laut. Das kann ich mir gut vorstellen, wenn Sie an eine Form der vertikalen Mischung denken. Da könnte ich mir denken, dass bestimmte Erwartungen der Bevölkerung an urbane Produktion erfüllbar sind. Denn wir haben Haushalte befragt, was erwarten sie und was wünschen sie sich von urbanen Produzenten. Da haben viele angesprochen, die urbanen Produzenten sollen aufgeschlossen und zugänglich sein, sie sollen Produkte für den eigenen Bedarf fertigen. Aber sie sollen auch das soziale Leben bereichern. Und gerade bei einer Verstandortung in einem funktionsgemischten Gebiet können sie wunderbar auch solche Aufgaben und das soziale Miteinander einbinden.

Wie sehen Sie denn dabei die Verortung in der Politik? Kann sie dafür sorgen, dass das mehr in den Fokus rückt?

Ein erster Schritt wäre, möglichst viele Akteure verschiedener Politikfelder zusammenzubringen. Solche, die für die Wohnbauentwicklung und für die Planungsprozesse verantwortlich sind und auf der anderen Seite alle die, die die gewerbliche Entwicklung im Blick haben – da denke ich an die Verantwortlichen für Wirtschaftsförderung. Zudem gibt es jeweils zuständige Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern, dazu Branchenverbände und Clusterinitiativen. Die sollte man möglichst alle zusammenbringen.

Es wäre gut, wenn das in gemischten Flächenausweisungen seinen Niederschlag findet. Aber das ist ein Aushandlungsprozess. Ich glaube, das ist nicht so einfach, weil wir vor der großen Herausforderung stehen, dort mehr Wohnraum zu schaffen, wo Menschen wohnen wollen. Und dies ist nun mal in den Städten. Dabei wir wissen alle, dass der Druck auf die Städte steigt, und da ist es natürlich schwierig gewisse Flächenanteile für Gewerbe vorzusehen. Aber mir gefällt ihre Idee mit der Erdgeschosszone gut, denn das sind nicht die idealen Wohnlagen. Aber für das Gewerbe ist es genau das richtige.

Die Ausweisung von Mischgebieten zahlt wiederum auf die 15 Minuten Stadt ein, die Stadt der kurzen Wege …

Es spielt für viele Haushalte eine große Rolle, dass urbane Produzenten herstellen, was sie für ihren eigenen Konsum benötigen. Wir haben gesehen, die Warengruppen, um die es dabei geht und die man eher für die kurze Distanz benötigt, sind Nahrungsmittel, teils aber auch Möbel und Bekleidung. Alles, was zum individuellen, persönlichen Bedarf gehört.

Das kann zu Segregation führen und Ausschluss von der Mehrheit der Stadtbevölkerung.

Das stimmt. Man muss anerkennen, dass es teils nur Minderheiten sind, deren Konsumbedürfnisse durch gewisse Formen urbaner Produktion adressiert werden. Wir müssen das nicht unnötig romantisieren. Das möchte ich auf keinen Fall machen. Die Mehrheit der Bevölkerung braucht die standardisierte Massenware, weil diese am billigsten ist. Aber im städtischen Raum gibt es nicht selten einen relativ hohen Bevölkerungsanteil, der etwas mehr Geld ausgeben möchte für individualisierte Güter. Es ist aber nicht die Majorität. Ich gebe zu bedenken, urbane Produktion ist nicht durchweg für die breite Masse.

Was denken Sie wird passieren, wenn wir diese Herausforderung nicht angehen?

Wenn wir uns der Chancen und Notwendigkeiten der urbanen Produktion nicht bewusst sind, dann wird die Abwanderung von Produktion ins Ausland fortgesetzt. Die Städte würden funktional veröden. Mehr Brachflächen würden entstehen, weil Gewerbe abwandert. Und dann gibt es die Trading-down-Phänomene beim Einzelhandel oder in der Gastronomie. Mögliche Folge wäre der Abstieg von noch mehr Stadtvierteln. Und immer mehr fehlende Jobs. Auch Absolventen und Absolventinnen aus den städtischen Hochschulen würden abwandern. Wir müssen auch bedenken, wenn wir die urbane Produktion nicht für die gewerbliche Interaktion verfügbar haben, dann fehlen Geschäftspartner, Kunden, Zulieferer. Das gesamte Produktionssystem würde ausgehöhlt.

Und im besten Fall?

Wir können selbstverstärkende Wachstumsprozesse und gewerbeübergreifende Kreativität fördern. Und dazu beitragen, Möglichkeiten der Innovationen zu schaffen und diese ins Gewerbe einzubringen. Mit urbaner Produktion können wir ein bestens für die Zukunft gerüstetes, funktionalgemischtes, hochwertiges Stadtquartier schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch.