Madaster – ein Netzwerk für die Kreislaufwirtschaft

Portraitbild Patrick Bergmann

Im Netzwerk Madaster engagieren sich Vertreter der Immobilienbranche, um den Gedanken des zirkulären Bauens in die Praxis umzusetzen. Wir haben mit Dr. Patrick Bergmann über Madaster gesprochen und welche Stellschrauben zirkuläres Bauen benötigt, um in der breiten Masse anzukommen. 

Hallo Herr Dr. Bergmann. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen. Erklären Sie uns bitte: Was ist Madaster?

Madaster ist das Kataster für Materialien. Daher kommt unser Name: Materialkataster – Madaster. Die Idee stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Die Niederländer haben Madaster vor ca. fünf Jahren gegründet. Die Idee dahinter war, zu sagen, wenn wir nachhaltig bauen wollen, dann müssen wir in geschlossenen Kreisläufen denken und nicht mehr in dem linearen Prinzip: take – make – waste. Das bedeutet, das Materialien in Gebäuden zwischengelagert werden, sozusagen als Rohstoffdepots und dann wiederverwendet werden. So dass wir irgendwann nur noch mit Sekundärmaterialien bauen.

Welche Vorteile hat das zirkuläre Bauen?

Der eine Vorteil ist, dass enorme Mengen an CO2 eingespart werden können. Das zahlt auf die Klimakrise ein. Und der zweite ist die Rohstoffverfügbarkeit. Das wir mehr Materialien zur Verfügung haben und die Erde nicht mehr ausbeuten.

Wie kann das aus Ihrer Sicht funktionieren?

Über Informationen: Nur wenn wir wissen, was verbaut wurde, können wir das bereits verbaute wieder hochwertig einsetzen – in der Wiederverwendung oder der Wiederverwertung. Dafür müssen wir zum Beispiel Kunststoffe oder auch Metalle sauber trennen können. Umso besser wir das Wissen über die verbauten Materialien managen, desto mehr Geld und Zeit sparen wir. Da steckt unglaubliches Potential drin. Deshalb sind wir auch der Meinung, dass nur durch eine gute Informationslage eine gute Kreislaufwirtschaft in der breiten Masse stattfinden wird.

Wann denken Sie wird Madaster zum Standard?

Ich schaue da gerne in die Niederlande. Dort sind wir seit 5 Jahren aktiv. Dort liefert jedes große Bauunternehmen sein Projekt Madaster-konform ab. Das ist dort eine klar formulierte Anforderung. Wir arbeiten dafür mit digitalen Schnittstellen. Man muss dazu jedoch sagen, dass die Niederländer bei BIM weiter sind und das Land nicht so groß ist wie Deutschland. Ich glaube nicht, dass wir in 5 Jahren in Deutschland genauso weit sein werden. Aber ich glaube, dass wir in 5 Jahren jeden Neubau digital dokumentieren, so dass ein Großteil davon auf Madaster zu finden sein wird.

Inwiefern sollte die Politik oder nimmt die Politik mittlerweile Einfluss auf das zirkuläre Bauen? BIM wird mittlerweile bei öffentlichen Ausschreibungen gefordert.

Die Politik ist ein wesentlicher Baustein. Im Koalitionsvertrag ist der Gebäuderessourcenpass bereits verankert. Wir sehen aber auch, dass die private Wirtschaft und die Projektentwickler Vorreiter sind, weil sie mehr Wissen und Verständnis aufgebaut haben als die Politik. Das haben wir der EU-Taxonomie zu verdanken – am Ende auch der Politik, aber eben auf EU-Ebene. Dort ist schon konkreter und deutlich griffiger formuliert, was das eigentlich bedeutet: Dass die Betrachtung der CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus bald entscheiden wird, ob ein Bauprojekt finanziert wird. Banken und Asset Manager werden solche Parameter in Zukunft verstärkt abfragen. Das ist im Moment der Treiber, warum zirkulär geplant und gebaut wird. Wir haben jetzt drei aktive Fonds bei Madaster, die die Finanzierung nach Artikel 8 (Artikel 8 der EU-Taxonomie regelt die Berichtspflichten, Anm. d. Red.) und Artikel 9 (Die Taxonomie-Verordnung definiert in Artikel 9 sechs Umweltziele, Anm. d. Red.) der EU-Taxonomie bewerten. Sie schauen, wie zirkulär das Gebäude geplant ist. Wenn das Gebäude einen gewissen Grad an Zirkularität vorweist, ist das Gebäude für den Fond geeignet. Da können Sie sehen, dass das ganz konkrete Auswirkungen hat, wie ein Gebäude in Zukunft finanziert wird.

Welchen Mehrwert schöpfe ich als Unternehmen, wenn ich mich in Ihrem Netzwerk engagiere?

Das ist unterschiedlich. Zunächst steht für alle der Netzwerkgedanke im Vordergrund – sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Und wenn ich mir den Hauptvorteil anschaue, dann geht es um regionale Wertschöpfung und regionale Rohstoffquellen. Man kann eben über die digitale Schnittstelle zu Madaster Zirkularität auswerten bzw. CO2 auswerten. Dazu kommt, dass man eine sehr gute digitale Dokumentation seines Gebäudes hat. Ein Feature, das wir ebenfalls eingeführt haben, sind Rohstoffwerte. Wie viel ist das Metall in meinem Gebäude wert? Wie viel ist der Beton in meinem Gebäude wert? Wie viel ist das Holz wert? Wir wollen den Gebäudeeigentümern zeigen, dass zirkuläre Gebäude auch einen finanziellen Mehrwert mit sich bringen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Bestandshalter kann seinem Gebäude einen Wert zu schreiben. Mein Gebäude ist ca. 100 Geldeinheiten wert und ich habe 5 Geldeinheiten Rohstoffwerte verbaut. Deswegen ist mein Gebäude in der Summe 105 Geldeinheiten wert. Das wird nicht heute oder morgen passieren. Aber das ist eine recht logische Konsequenz, wenn man das weiterdenkt.

Einen Mehrwehrt aus dem Abbruch zu schöpfen …

Genau, weil man dann sagen kann, wenn ich ein Gebäude abreiße, dann zahle ich nicht mehr drauf. Und das wird in den vorherigen Transaktionen bereits mitberücksichtigt.

Zirkuläres Bauen und Cradle to Cradle (C2C), wie stehen diese beiden Bewegungen zueinander?

Cradle to Cradle ist die Idealform des zirkulären Bauens. Wenn wir Cradle to Cradle bauen würden, hätten wir viel weniger Probleme, die Gebäude auseinander zu nehmen, zu bewerten und zu dokumentieren. Das sind zum Teil jedoch sehr strenge Kriterien. Deshalb wird es auch noch eine Weile dauern, bis alle Gebäude nach dieser Logik gebaut werden. Wir arbeiten eng mit der C2C NGO zusammen sowie mit EPEA, die das Thema stark vorantreiben.

Wo sehen Sie die größten Stellschrauben für nachhaltiges Bauen in Zukunft?

Das ist klar die Politik. Weil durch die Taxonomie nur noch das finanziert wird, was nachhaltig ist. Aber zunächst muss die Digitalisierung noch besser werden. Denn ich bin mir sicher, ohne die durchgängige Digitalisierung werden wir das nicht schaffen. Dort fließen viele Informationen zusammen. Das kann man nicht effizient in Aktenordnern bearbeiten. Ein weiterer Punkt, bei dem wir noch Nachholbedarf sehen, ist bei der Herstellung von Produkten. Produkthersteller sollten sich noch mehr Gedanken darüber machen, wie sie ihre Produkte entsorgen können und transparent kommunizieren, welche Inhaltsstoffe verwendet werden. Damit sie die Informationen bereitstellen, die sie zurzeit noch nicht so gerne liefern.

Wie viele Projektentwickler haben Sie zurzeit in Ihrem Netzwerk?

Es gibt zurzeit 70 Nutzer in Deutschland. In den anderen sechs Ländern, in denen wir aktiv sind, sind es deutlich mehr. Insgesamt sind zurzeit 4.000 Gebäude auf der Plattform verfügbar. In Deutschland sind es ca. 100 Gebäude auf BIM-Basis. Das sind die sehr detaillierten Gebäude. Es sind 15 % Hersteller, 15 % Architekturbüros, 40 % Projektentwickler und noch 15 % Bestandshalter und einige Bauunternehmen, Beratungsbüros und Recyclingunternehmen. Die größte und aktivste Gruppe ist jedoch die der Projektentwickler. Die meisten von ihnen haben mittlerweile ein Gebäude auf der Plattform. Das nimmt zurzeit Fahrt auf. Viele schauen sich zurzeit Ausschreibungen an. Welche Anforderungen dort formuliert werden müssen, um zirkulär zu bauen.

Erklären Sie mir noch den Begriff der Kennedys?

Wir sind seit 1,5 Jahren in Deutschland aktiv. Die Kennedys in unserem Netzwerk hängen mit John F. Kennedy und seiner Mondansprache zusammen. Er sagte sinngemäß: Ich habe die Vision, dass wir zum Mond fliegen. Ich habe den Mut, das auszusprechen, auch ohne alle Details zu kennen.

Die ersten 33 Unternehmen, die bei uns mitgemacht haben, haben auch diesen Mut bewiesen, den zirkulären Gedanken voranzutreiben, ohne alle Details zu kennen. Sie sind John F. Kennedy sehr ähnlich. Deshalb nennen wir diese 33 Pioniere „Kennedys“. Im ersten Jahr war unser Ziel diese Unternehmen zu finden. Seitdem ist Madaster auf 70 Unternehmen angewachsen. Und ich glaube, dass wir nächstes Jahr die Mitgliederanzahl unseres Netzwerks verdoppeln können. Wie die meisten planen wir mit einem exponentiellen Wachstum. Es ist eine gute Zeit für so ein nachhaltiges Thema. Es hätte aber auch nicht später kommen dürfen …

Vielen Dank für das Gespräch.